Coaching oder Supervision? – Ein kurzer Diskussionsbeitrag zur Unterscheidung

 

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Coaching und Supervision? Und wann nutze ich das eine und wofür besser das andere? Diese Fragen stellen sich nicht nur die (potenziellen) Kunden und Kundinnen, sondern sind auch in der Fachwelt nach wie vor ziemlich umstritten. Dabei sind sowohl Positionen vertreten, die einen fundamentalen Unterschied zwischen beiden Formaten konstatieren als auch solche, die beides mehr oder weniger synonym verwenden.

 

Ich habe mir in der letzten Zeit zahlreiche Fachveröffentlichungen und Positionspapiere[1] unterschiedlicher Fachverbände für Coaching und Supervision unter diesem Gesichtspunkt angesehen und versucht, für mich eine eigene Position daraus abzuleiten. Diese möchte ich hier als Orientierungshilfe gerne im Folgenden zur Verfügung stellen. Über die og. Fragestellungen hinaus hat mich dabei auch interessiert, was denn – falls sich die beiden Formate tatsächlich signifikant unterscheiden sollten – ein Coach noch lernen müsste, um eine gute Supervision durchführen zu können und umgekehrt. Hierzu habe ich interessanterweise keine wesentlichen Hinweise in der Literatur gefunden, auch nicht dort, wo ein wesentlicher Unterschied proklamiert wird.

 

Um es vorwegzusagen, läuft meine eigene Positionierung darauf hinaus, dass ich zwar Unterschiede zwischen beiden Formaten sehe, diese sich aber weniger durch ein „entweder … oder“, sondern vielmehr auf einem „mehr oder weniger“-Kontinuum beschreiben lassen. Dabei folge ich u.a. Barthelmes (2016), der „Beratung als Oberbegriff und … Psychotherapie, Coaching und auch Supervision als spezifische Unterformen“[2] einordnet. Unter Beratung versteht er ein „intentionales Handeln im Eingebundensein in soziale Interaktion innerhalb eines Kontextes mit dem Ziel der fördernden Einwirkung auf personale und/oder organisationale Systeme.“[3] Coaching und Supervision wären dann also beide bestimmte Ausdifferenzierungen eines solchen Beratungsverständnisses, denen aber das „intentionale Handeln“ und die „fördernde Einwirkung“ gemeinsam zugrunde liegen.

 

Bei Coaching und Supervision handelt es sich in beiden Fällen um berufsbezogene professionelle (Prozess-)Beratung, Begleitung und Unterstützung, die im Wesentlichen auf die Schnittstelle zwischen Profession, Organisation und Person ausgerichtet sind. Beide finden sowohl mit Einzelpersonen als auch Teams, Gruppen und Organisationen statt. Supervision und Coaching unterstützen und fördern dabei im Wesentlichen die (berufliche) Selbstreflexion. Mit dieser Beschreibung dürfte nach meiner Einschätzung ein recht breiter Konsens über die Gemeinsamkeiten beider Formate beschrieben sein. Bachmann/Loermann etwa konstatieren: „Zwischen Coaching und Supervision besteht eine große Ähnlichkeit, denn in beiden Fällen steht die personenorientierte Beratung zu beruflichen Themen im Fokus. ... Unterschiede ergeben sich vor allem aus ihren jeweiligen Traditionen, die bis heute von Bedeutung sind.“[4]

 

Eine sich (wesentlich) aus den Traditionen ergebende Unterscheidung von Coaching und Supervision heben zahlreiche Autoren hervor. Dabei betonen die einen deren Grundsätzlichkeit, während die anderen eine zunehmende Überschneidung und Nivellierung feststellen. Aus meiner Sicht stellen Coaching und Supervision eher zwei sich auf einem Kontinuum befindlichen Beratungsformate dar, die sich besser durch ein „mehr oder weniger“ als durch ein „entweder … oder“ charakterisieren lassen. Wenn man die beiden Pole dieses Kontinuums beschreiben möchte, lassen sich meines Erachtens vor allem folgende Merkmale als große gemeinsame Nenner aus der Fachliteratur herausfiltern:

 

Coaching

Supervision

        Profit, Wirtschaft, Politik, Sport,

        Führungskräfte, Leitungsfunktion, Management,

        Förderung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit, Personalentwicklung,

        Klärungshilfe und Entwicklung von Lösungen,

        anlassbezogen und zeitlich begrenzt,

        praktische Unterstützung und Lösung konkreter Herausforderung, eigenständige Lösungen ihrer Anliegen herbeizuführen, lösungsorientiert,

        Hilfe zur Selbsthilfe,

        Anteile von Training und Fachberatung.

        Non-Profit, sozialer Bereich, Sozialarbeit,

        Menschen die mit und am Menschen arbeiten; alle Mitarbeitenden,

        Förderung der Person, „Personenentwicklung“,

        Reflexionshilfe und Entwicklung von Kompetenzen,

        kontinuierlich begleitend, Verbesserung der Qualität der Arbeit,

        (berufliche) Entwicklung und Lernen fördern und begleiten, Metareflexion des eigenen Handelns und der eigenen Person,

        Persönlichkeits- und Professionalitätsentwicklung,

        Fallsupervision.

 

Mit Thomas Loer ist allerdings gleichzeitig festzustellen: „Die Praktiker im Feld von Supervision, Coaching und Organisationsberatung verwenden als Bezeichnung für ihre Tätigkeit die Termini ‚Supervision‘, ‚Coaching‘ und ‚Organisationsberatung‘ uneinheitlich und unsystematisch.“[5] Faktisch findet vielmehr eine zunehmende Nivellierung auf der Seite der PraktikerInnen statt. Zudem behaupte ich aus der eigenen praktischen Erfahrung heraus (was auch zahlreiche KollegInnen so bestätigen), dass auch auf der Seite der Kunden eine Differenzierung noch viel weniger stattfindet bzw. häufig eher aus einem durch die jeweilige Berufssozialisation und/ oder Organisationskultur geprägtem Verständnis heraus erfolgt und inhaltlich kaum bis gar nicht unterscheidet (grob nach dem Motto: SozialarbeiterInnen fragen nach Supervision, WirtschaftlerInnen nach Coaching). Gerade einige der Charakteristika, die häufig als Unterscheidungsmerkmale angeführt werden, gehen dabei zunehmend verloren: Coaching hat mittlerweile einen festen Platz auch im Sozialen Bereich und wird schon lange nicht mehr ausschließlich auf Führungskräfte angewandt. Viele Coaches würden vehement widersprechen, dass sie sich v.a. auf Training und Fachberatung konzentrieren würden und nicht auch Personen- und Persönlichkeitsentwicklung Gegenstand von Coaching sein können. Teamcoaching und Fallcoaching sind etablierte Subformate. Usw. Und auch umgekehrt sind natürlich lösungsorientierte Ansätze und praktische Lösungen genauso Gegenstand von Supervision wie eine grundsätzliche Förderung der Funktionsfähigkeit von Mitarbeitenden und Teams. „Der Unterschied etwa zwischen Leitungssupervision und Coaching von Führungskräften ist in der Tat schwer festzustellen.“[6]

 

Als analytisch konstitutiv lässt sich der Unterschied zwischen Coaching und Supervision aus meiner Sicht auf folgende Zielrichtungen reduzieren:

 

Während Supervision der kontinuierlichen und begleitenden Sicherung und Entwicklung der professionellen Qualität dient, ist es das Ziel von Coaching, anlassbezogen eine Lösung für eine konkrete Herausforderung zu erarbeiten und damit in seiner Grundlogik immer zeitlich begrenzt.

 

Über diese Grenzziehung lässt sich trefflich diskutieren und streiten – und das wird ja auch getan. Bezogen auf die oben dargestellte Unterscheidung bilden sich die Unterschiede zwischen Coaching und Supervision meines Erachtens nach jedoch eher analytisch auf einem Kontinuum zwischen den beiden Formaten ab und verschwimmen in der Praxis zunehmend. Eine solche Unterscheidung erscheint mir dennoch hilfreich, weil sie jeweils im Schwerpunkt unterschiedliche Ziele, Rollen, Settings und Konzepte der beiden Formate definiert und damit eine deutliche Orientierung bei deren Klärung und Gestaltung bietet.

 

Wenn man dieser Unterscheidung folgt, ergeben sich hieraus dementsprechend praktische Notwendigkeiten und Konsequenzen in der Umsetzung und folglich dafür, was Coaches und SupervisorInnen idealtypisch wissen und können sollten. Folgende Unterschiede möchte ich in einem ersten Ansatz formulieren, die z.B. aus der Perspektive von Coaching gegenüber Supervision potenziell für die Professionsentwicklung relevant sein dürften:

 

Supervision

  •  findet häufiger in Teams statt:
    • höhere Relevanz von team-/ gruppenbezogenen Ansätzen, Moderation von Gruppen,
    • Methoden zur Auswahl und Priorisierung von Themen,
  •  stellt eine kontinuierliche, dauerhafte Begleitung dar:
    • Ansätze von Qualitätsentwicklung und Personen-/Persönlichkeitsentwicklung,
    • deshalb (noch) höheres Gewicht auf (vertrauensvolle) SupervisorIn-Supervisanden-Beziehung,
    • kontinuierliche Teamentwicklung,
  • legt deutlich höheres Gewicht auf Fallsupervision.

Soweit man diesen Unterscheidungen folgen mag, könnten sich hieraus auch zentrale Anforderungen an eine mögliche hilfreiche Qualifizierung für Coaches ergeben. In diesem Sinne ließe sich auch eine umgekehrte Auflistung für SupervisorInnen erstellen, die sich im Sinne des Formats Coaching qualifizieren möchten.

 

Für die Praxis von Supervision und Coaching gibt es sicherlich gute Argumente für die Unterscheidung beider Formate, die eher im Marketingbereich liegen dürften. Darüber hinaus erscheint es mir eher wesentlich, dass die Coaches und SupervisorInnen selbst eine klare Haltung dazu haben, welches Verständnis sie von den Formaten haben und in welchem sie sich jeweils befinden. Schließlich sollten Sie auch ihren KundInnnen gegenüber beschreiben können, was sie ihnen jeweils anbieten und worin nach ihrer Einschätzung jeweils der Unterschied liegt (oder eben auch nicht). So ist es möglich, hierüber ein gemeinsames Verständnis im Sinne des Arbeitskontraktes zu erzielen.[7] „Von zentraler Bedeutung ist daher die Passung von Kontrakt, Klient und Kompetenzen des Beraters/der Beraterin, also das Gelingen der Interaktion und der Prozesssteuerung.“[8]

 

 

 



[1] Um genau zu sein, handelt es sich dabei um (bislang) insgesamt 47 Veröffentlichungen. Wen es genauer interessiert, der/die möge gerne bei mir nachfragen.

[2] Barthelmes, Manuel (2016): Die systemische Haltung. Was systemisches Arbeiten im Kern ausmacht. Göttingen, Bristol, S. 44.

[3] Ebd, S. 21.

[4] Bachmann, Thomas / Loermann, Johannes (2023): Zur Wirksamkeit systemischer Interventionen im Kontext von Arbeit und Organisationen. In: Systeme, (37) 1, 5-30.

[5] Loer, Thomas (2018): Vom Sinn der Unterscheidung von Supervision, Coaching, Organisationsberatung. In: Supervision, Coaching, Organisationsberatung – Fassung vom 28.09.2018. In: Internet (23.03.2021): https://www.dgsv.de/wp-content/uploads/2018/11/Loer_Vortrag_Zum-Sinn-der-Unterscheidung-von-Supervision-Coaching-Organisationsberatung.pdf

[6] Schröder, Peter (o.J.): Einige Gedanken zum Unterschied von Coaching und Supervision. https://old.coaching-dgfc.de/Documents/Portal_Files/190/Unterschied_SV_-Coaching.pdf

[7] … dass meines Erachtens auch darin liegen kann, dass eine explizite Beschreibung und damit Unterscheidung der Formate für viele KlientInnen überhaupt keine oder wenig Relevanz besitzen dürfte.

[8] Reyer, Thomas (2016): Beratungsdschungel? Beratung, Coaching, Therapie, Supervision und mehr Differenzierung von Arbeitsformaten der Prozessberatung. In: OSC, (23) 4, 463–473, S. 477.

 

 

 

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